Last Updated on 2020-03-13 by Birk Karsten Ecke
Estland hat über vierzig Jahre das Schicksal als gezwungene Sowjetrepublik sein Schicksal mit Lettland und Litauen geteilt. Nach der Singenden Revolution ist der kleine baltische Staat heute Mitglied der Europäischen Union. Estland ist zweifellos der baltische Staat mit der konsequentesten Orientierung in Richtung Nordwesteuropa. Allerdings ist bis heute das Verhältnis zwischen Esten und Russen durch gewisse Spannungen gepägt. In Estland leben rund 1.3 Millionen Menschen auf einer Fläche, die etwas kleiner als Niedersachsen ist.
Anreise mit dem Zug
Eine Anreise von Deutschland nach Estland mit dem Zug ist über direkte Verbindungen nicht möglich. Eine Zugfahrt von München nach Tallinn würde über 50 Stunden dauern und mehrfaches Umsteigen – unter anderem in Wien, Warschau, Kaunas und St. Petersburg erfordern. Dazu wäre ein Visum für Weissrussland und Russland erforderlich. In Estland ist die Eisenbahn bislang kein besonders entwickeltes Transportmittel für den Personenverkehr. Das Schienennetz beruht auf der russischen Breitspur – eine Erbe der russischen und sowjetischen Besatzung.
Anreise mit dem Auto
Eine Reise von Deutschland mit dem Auto nach Estland über Polen, Litauen und Lettland ist im Prinzip problemlos möglich. Besondere Dokumente sind dafür nicht erforderlich, da sowohl Polen als auch Litauen und Lettland Mitglied der Europäischen Union und Schengenstaaten sind. Sinn macht eine Autoreise nach Estland aber nicht, denn Autobahnen sind in Polen, Litauen, Lettland und Estland eher unbekannt.
Flugreisen nach Estland
Fliegen ist die zweifellos bequemste Art von Deutschland nach Estland zu reisen, auch wenn es mit einem Sicherheitscheck verbunden ist und die Größe und die Gewichtsbeschränkung des Handgepäcks die Fotoausrüstung einschränkt. Sowohl LUFTHANSA als auch AIR BALTIC bieten Flüge von von verschiedenen Flughäfen in Deutschland nach Tallinn an.
Preis-Leistungs-Verhältnis
Essen und Trinken
Zumindest in der Altstadt von Tallinn sind die Preise auf deutschem Niveau. Essen gehen ist hier nicht wirklich billig. Die Portionen sind meist deutlich kleiner als in Deutschland, so dass man zumindest als starker Esser Vorspeise und Hauptgericht benötigt, um satt zu werden. Ein Bier kostet zwischen 2,50 € und 5,00 €, so wie in Deutschland auch. Trinkgeld muss in Estland übrigens nicht gegeben werden.
Wer mit dem Service in Restaurants oder Kneipen zufrieden ist, sollte aber ruhig bis zu 10 Prozent Tipp geben. In den Supermärkten herrscht Alles in Allem ein deutsches Preisniveau. Manche Dinge – etwa Bier – sind auch deutlich teurer, frischer Fisch deutlich billiger. Ein guter Indikator für Lebensmittelpreise ist für mich das Angebot bei McDonalds: Der Cheeseburger kostet genau wie in Deutschland 1,- €.
Taxis
In Estland gibt es keine Festpreise für Taxis. Bevor Sie in ein Taxi einsteigen, sollten Sie nach dem ungefähren Fahrpreisen fragen. Die Fahrpreise schwanken je nach Unternehmen um mehr als 100 Prozent. Seriöse Taxiunternehmen haben auf der Heck-oder hinteren Seitenscheibe eine Preistafel. Sollten sie das nicht haben, Finger weg. Eine Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt von Tallinn sollte normalerweise nicht mehr als 10,-EURO kosten. Sie müssen nicht das vorderste Taxi nahmen – Estlands Turbokapitalismus macht es möglich.
Socken, Pullover und Strickjacken kaufen
Wer Stricksachen mag, kann in Estland vergleichsweise günstig einkaufen. Wegen des verglichen mit Deutschland deutlich raueren Klimas lieben die Estinnen und Esten jeden Alters kuschelig warme Pullover und Strickjacken – nicht nur im Winter. Handgestrickte Pullover, Jacken, Mützen, Handschuhe und Socken mit traditionellen nordischen Mustern gibt es in Tallinn auf dem Strickwarenmarkt Müürivahe entlang der Stadtmauer an der Vana Viru Straße oder auf dem Viru Markt.
Modische Stricksachen aus Estland für Damen, Herren, Mädchen und Jungen zu fairen Preisen gibt es in den Läden von VETA. In Tallinn sind die Läden von VETA rund um den Rathausplatz zu finden. Ein dicker Rolli oder Troyer oder eine wintertaugliche Strickjacke kosten hier jeweils etwa 75,- €, ein passender Schal dazu etwa 25,- €. Eine normale Strickjacke ist für unter 50,- € zu haben. Die meist jungen Verkäuferinnen sind sehr freundlich, sprechen aber oft kein englisch.
No Go’s in Estland
Alkohol darf in Estland in Supermärkten, Kiosken und Tankstellen zwischen 22:00 Uhr abends und 10:00 morgens nicht auswärts verkauft werden. Das gilt auch für die Flasche Bier, die Sie vielleicht abends im Hotelzimmer trinken möchten. Restaurants, Kneipen und Bars sind davon ausgenommen. Ein weiteres No Go sind Statements über die untergegangene Sowjetunion. Egal wie Sie selbst zu Lenin, Stalin, Breshnjew & Co. stehen: Ihre Meinung zur untergegangenen Sowjetunion sollten Sie gegenüber Ihnen unbekannten Personen nicht offen aussprechen. Die Chance auf auf gebürtige Russen, die unter dem schmachvollen Verlust ihrer Privilegien leiden, ist in Estland sehr hoch.
Allgemeine Sicherheitshinweise
Tallinn ist im Prinzip eine sichere Stadt ((Und ich lege Wert auf folgende Feststellung: Obwohl Estland eines der liberalsten Waffengesetze in Europa hat, ist die Mordrate eine der Geringsten.)). Allerdings gibt es eine gewisse Kleinkriminalität und zahlreiche Taschendiebe. Es ist nicht zu empfehlen, bei Dunkelheit stark alkoholisiert herumzulaufen, weil Sie damit Kleinkriminellen einen leichten Angriffspunkt bieten, so wie in jeder Großstadt. Ein selbstbewusstes und bestimmendes Auftreten ist in jedem Fall von Vorteil.
Eine wichtige Information: In Tallinn sind viele Straßen und Plätze sowie Privatgrundstücke videoüberwacht. Wo dies der Fall ist, wird durch ein Kamerapiktogramm angezeigt. Tallinn mit seinen tausenden Touristen, die sich zudem auf wenige Plätze konzentrieren, bietet Kleinkriminellen eine gute Operationsbasis. Die Polizei ist allerdings in Tallinn sehr präsent. Ich selbst habe mich in Tallinn selbst mit teurer Kameraausrüstung zu keiner Tages- oder Nachtzeit unsicher gefühlt, egal wo ich war.
Bettler
Davon gibt es im teuren Tallinn eine ganze Menge. Da gibt es die ruhigen und sympathischen Babuschkas, die den ganzen Tag im vergleichsweise unbelebten Hafenviertel sitzen. Sie reden kein Wort und sprechen einen auch nicht an. Wer sie so sitzen sieht, kann ihnen eine Geldspende nur schwer abschlagen – und wenn sie sich dafür bedanken, wird ein herzliches Gefühl von echter Dankbarkeit und persönlicher Wärme fühlbar.
Andererseits ist das Betteln in Tallinn wirklich krass. Mitten im Park vor dem Viru Keskus – dem Einkaufzentrum in der Neustadt – saß eine alte Frau (oder Mann?), die beide Oberschenkel bis kurz unter die Hüften und die rechte Hand amputiert hatte, in der Eiseskälte des Februar 2013 auf dem Asphalt. Wie auch immer sie an diesen Platz kommen konnte, ist mir bis heute rätselhaft – wie sie das Sitzen auf dem eiskalten Boden überlebt hat ebenfalls.

Bild: Mehrfach amputierte Bettlerin im Park vor dem Viru Keskus in Tallinn. Das ist echte Armut, die wir uns in Deutschland nicht vorstellen können.
Kleidung
Das Klima in Estland ist deutlich rauer als in Deutschland – auch im Sommer. Sobald die Sonne weg ist, wird es kühl. Machen Sie es wie die Esten und nehmen Sie immer einen Pullover oder eine Strickjacke mit auf Tour – oder eine Softshelljacke. Im Winter ist wirklich warme Kleidung erforderlich. Hier kann es ohne Weiteres deutlich unter – 20 °C kalt werden. Warme und wasserdichte Schuhe sind im Winter dringend angeraten, denn die Straßen sind voller Schneematsch, Wasser und Schnee.
Ich persönlich habe auf meinem ausgedehnten Fototouren im winterlichen Tallinn mit gummierten NORTH FACE oder KAMIK Schuhen beste Erfahrungen gemacht. Was im Winter gar nicht geht sind Joggingschuhe oder Straßenschuhe – damit können in Schnee und Matsch nur die einheimischen Männer herumlaufen. Damen können ihre High Heels zu jeder Zeit getrost zu Hause lassen, denn die Straßen der Altstadt von Tallin bestehen zumeist aus Kopfsteinpflaster. Hier können nur die Talliner Damen mit High Heels laufen, und das mit überraschender Sicherheit.
Übernachten in Tallinn
In Tallinn kann ich zum Beispiel das Baltic Hotel Vana Viru empfehlen. Das Hotel liegt zentral am östlichen Rand der historischen Altstadt von Tallinn unmittelbar an der Müürivahe. Ob Unterstadt, Domberg, Rotermanni Kvartal, Neustadt oder Hafen – alles ist auf kurzen Wegen zu Fuß zu erreichen. Die Standardzimmer sind klein aber gemütlich und bieten einen schönen Blick auf die Kathedrale St. Olav und einen Teil der Altstadt. Für mich wichtig: WLAN ist kostenlos verfügbar und funktioniert rund um die Uhr einwandfrei.

Bild: Fassade des Hotel “Vana Viru” in der Altstadt von Tallinn.
Copyright (c) 2012 by Brigitte Ecke.
Zum Hotel gehört der Vana Viru Pub – eine gemütliche Kneipe mit gutem Essen und einer guten Auswahl an lokalen Bieren, Schnäpsen und Sidre. Hier kann man am Wochenende bis zwei Uhr früh den einen oder anderen Absacker nehmen und dann mit dem Fahrstuhl direkt zum Bett fahren. Die Bedienung ist sehr freundlich. Vom Pub selbst bekommt man im Hotel nichts mit.
In der Müürivahe in unmittelbarer Nähe zum Hotel Vana Viru gibt es noch ein weiteres gemütliches Restaurant mit Kneipencharakter namens SINILIND. Dieses Restaurant schmiegt sich eng an die Stadtmauer und ist zugleich Teil von ihr. Wenn man von der Müürivahe in die Kneipe kommt, denkt man, dass es ein sehr kleines Lokal ist. Aber über einen Durchbruch in der Stadtmauer gelangt man aber in einen weit größeren Gastraum.
Das meist weibliche Personal ist sehr jung, sehr hübsch und sehr nett. Meine Empfehlung: Hühnchenleberpastete oder Tallinner Sprotten mit softem und süßen Schwarzbrot und danach geschmorte Entenkeule mit Sahnesauce, Ofenkartoffelspalten und Sauerkraut – ganz anders als in Deutschland gemacht aber wirklich lecker! Die Entenkeule zerfällt unter der Gabel!

Bild: Food is awesome – Besonders die Hühnchenleberpastete und die geschmorte Entenkeule! Restaurant an der Müührivae in Tallinn.
Rechtliche Hinweise zum Fotografieren in Estland
Estland kennt eine abweichende Panoramafreiheit im Sinne der Gesetzgebung von Deutschland. Die Panoramafreiheit in Estland gilt für dauerhaft an öffentlichen Plätzen befindliche Werke der Architektur und Skulpturen, wenn das Werk nicht Hauptdarstellungsgegenstand ist und zu gewerblichen Zwecken genutzt wird.